Regionale Profile und Kooperationen zwischen Initiativen und Institutionen
Bei den Thementischen „Regionales Profil" wurden die „Grenzziehungen" zwischen den Regionen samt inhaltlicher Spezifizierungen hinterfragt. Sind sie willkürlich? Wo fühlt man sich zugehörig? Wie könnten regionenübergreifende und sich gegenseitig stärkende Verbindungen hergestellt werden? Nicht nur regional, sondern auch international - es wurden grenzüberschreitende ebenso wie mehrsprachige kulturelle Projekte als Chance für überregionale Brücken und Internationalisierung ins Spiel gebracht. Hier entspinnt sich ein brandaktuelles Thema: das einer inklusiven Gesellschaft von morgen und der damit verbundenen Asyl- und Migrationspolitik. Daran knüpft auch die kritische Frage nach der „Identität" von Regionen, sei es im historisch-politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder touristischen Sinn (Ausverkauf von Natur, Übernutzung von Landschaft, Auflösung industrieller Produktions- und Rahmenbedingungen, etc).
„WIR BRAUCHEN MEHR MUT ZUM TEILEN UND EINE KULTUR DES VERTRAUENS. DAS KÖNNTE ETWA ÜBER REGELMÄSSIGE, INTERDISZIPLINÄRE, HYBRIDE ODER AUCH ANALOGE STAMMTISCHE ERZIELT WERDEN, BEI DENEN ALLE MITEINANDER REDEN, DIE TEILEN WOLLEN UND SO AUCH IHR WISSEN UNTEREINANDER TEILEN KÖNNEN."
VICTORIA FUX, REGISSEURIN UND PERFORMERIN
Region als Lebensraum
Auch Betrachtungen hinsichtlich der Zukunft von Regionen als Lebensraum aus geopolitischer sowie geo- und topografischer Sicht sind oft zur Sprache gekommen. Was muss eine Region als Lebensraum bieten, um etwa für junge Familien attraktiv zu sein? Interessant ist das Verhältnis zwischen städtischen Ballungszentren mit entsprechendem Kultur- und Bildungsangebot und nicht-urbanen Regionen im Hinblick auf Erreichbarkeit und Mobilität. Die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Städten und Gemeinden - auch in Bezug auf die Landeshauptstadt - sind nach wie vor gegeben. Hier wird ein ambivalentes Verhältnis skizziert. So wäre die Stärkung aus Graz durchaus wünschenswert, etwa durch Kooperationen im Theaterbereich (Produktionskooperativen mit gut koordinierten und unterstützten Spielterminen in den Regionen), Ermöglichung von Wanderausstellungen, gut abgestimmte Konzerttouren oder Kooperationen in der Einladungspolitik von internationalen Künstler:innen, Philosoph:innen, Soziolog:innen. Ein großes Entwicklungspotential wird im Bereich von Kooperationen zwischen regionalen Initiativen und den Beteiligungen des Landes sowie mit kleinen und großen Festivals gesehen.
Ein weiteres zentrales Thema, bei dem Austragungsorte oben genannter Kooperationen eine verstärkte Rolle spielen könnten, sind die sich leerenden Ortskerne. Es stellen sich Fragen nach leerstehender Bausubstanz und dem öffentlichen Raum, der sich dazwischen aufspannt, und in Folge Fragen nach der Bedeutung von Baukultur.
Definition von Räumen
Gleichzeitig wird der digitale Raum als größter öffentlicher Raum immer wichtiger. Einerseits im gesellschaftspolitischen Sinne, sowohl als gemeinsamer Wissens- und Verhandlungsraum, mit allen notwendigen Debatten über Medienkompetenz, hinsichtlich demokratieförderlicher oder missbräuchlicher Nutzung, als auch als gemeinnütziger digitaler Speicherraum, z.B. konkret als digitaler Archivraum für kulturelles Erbe im Zusammenhang mit realen Museen. Andererseits für spezifische Medienkunstformen und -formate, die im internationalen Kontext an Bedeutung gewinnen. Nicht zuletzt spielt Digitalisierung im Erreichen erhöhter Sichtbarkeit einzelner Veranstaltungen, aber auch in der Vermittlung von kulturellen Netzwerken und Beteiligungsformaten eine bedeutende Rolle. In spezifischen Zukunftswerkstätten können prototypische Projekte auf den angesprochenen Ebenen ausprobiert werden.
Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kulturbereiche ist regional überschaubarer als steiermarkweit. Hier kann durch die spezifischen Modelle von Kulturdrehscheiben in den Regionen an den vorliegenden Stärken (z.B. Natur-Tourismusbegriff, Kultur-Handwerk, etc.) gearbeitet werden. Die Kulturdrehscheiben können dafür die notwendige Struktur bieten. Im Rahmen von Zukunftswerkstätten könnten relevante Themen dabei durch künstlerische und diskursive Formate an eine interessierte Öffentlichkeit gebracht werden (siehe Handlungsfelder auf S. 58 und S. 66). In diesem Kontext wird von den Kunst- und Kulturakteur:innen eine Anbindung an die STEIERMARK SCHAU erwünscht. Grundlage dafür ist die Kritik an der STEIERMARK SCHAU als „von außen aufgesetztes", sehr teures Projekt, das die Chance der Verbindung externer und regionaler Kräfte für nachhaltige Wirkung ungenützt lässt.
Für die STEIERMARK SCHAU 2025 sollten als eine erste Ableitung der Erkenntnisse aus den Regionalkonferenzen regionale Initiativen stärker involviert werden.
Regionale Residencies
Ein gut geeignetes Umsetzungsformat sind Residencies, die Künstler:innen, Kurator:innen und Forscher:innen zu bestimmten Fragestellungen vor Ort zusammenbringen. Das diverse Residency-Programm des Landes Steiermark wurde bei den Regionalkonferenzen mehrmals als sehr positiv genannt. Es soll ausgebaut und noch spezifischer mit den Regionen verbunden werden.
Grundlegend
Ein sehr großes Synergiepotenzial wird in der Verschränkung zwischen Initiativen und Institutionen gesehen, die in den unterschiedlichen Regionen verschiedene Zusammensetzungen haben, und zwar im materiellen, strukturellen und ideellen Sinn. „Teilen statt Konkurrenz!" heißt hier der Leitsatz. Wobei Teilen explizit nicht das Geben der „Großen" an die „Kleinen" meint, sondern einen gemeinsamen Handlungsraum, aus dem allein durch den Austausch des jeweiligen Bedarfs ein Mehrwert entsteht. So wird kritisiert, dass im jetzigen System viele Veranstaltungsorte für kleine Vereine völlig unleistbar sind. Das gilt sowohl für Veranstaltungsräume in Gebäuden als auch für den öffentlichen Raum. Hier gilt es, unbürokratische Zugänglichkeit und leistbare Nutzmöglichkeiten für alle zu schaffen. Das könnte etwa für Leerstände in Ortskernen von Bedeutung sein. Deren Belebung wäre die positive Folge.
Teilen statt Konkurrenz
Als besonders positive Erfahrung innerhalb der Regionalkonferenzen wurde oftmals rückgemeldet, dass der Austausch zwischen den Beteiligungen des Landes und Vereinen, Initiativen, kleinen und großen Festivals, öffentlichen und privaten Museen, Einzelkünstler:innen und Kulturarbeiter:innen, kurzum zwischen Akteur:innen unterschiedlicher struktureller und inhaltlicher Einheiten, Potential für neue Aspekte zukunftsfähiger Konstellationen von Zusammenarbeit in Aussicht gestellt habe. Dabei sei das Zusammenbringen der Diskussionspartner:innen über die einzelnen Interessensgruppen hinaus relevant, um ein neues Vollbild einer zukünftigen Kulturlandschaft zu visionieren, das die Beziehungen zwischen Stadt und Land mitverhandelt. Empfohlen wird eine Fokusgruppe zur Verschränkung der Beteiligungen des Landes mit
weiteren Kulturbereichen wie jenen der „freien Szene", der „Volkskultur" und der Festivals - zur Stärkung regionaler Profile.
Der Strategieprozess 2030 bot eine einmalige Chance hinsichtlich Erfassung von Wissen und Erfahrungen sowie Visionen von Führungspersönlichkeiten der Beteiligungen des Landes, da er zeitgleich mit dem Wechsel mehrerer Intendant:innen und Leiter:innen großer Institutionen stattgefunden hat: Die einen waren bei Treffen und Konferenzen noch mit dabei und haben ihre langjährigen Erfahrungen eingebracht. Die anderen, neu Ankommenden, wurden gezielt nach den Konferenzen besucht und um ihre Sichtweisen gebeten.
Einige besonders markante Aussagen aus dem vielfältigen Bild zur Lage finden sich in Form von Zitaten wieder. Zentrale Punkte, die sich durch alle Gespräche durchziehen und die Erkenntnisse der Regionalkonferenzen wiederholen oder schlüssig ergänzen, wurden in die Handlungsempfehlungen aufgenommen. Die Besonderheit dieser zeitlichen Möglichkeit bildet sich im folgenden Beitrag ab.
Im Gespräch mit den Leiter*innen der Beteiligungen des Landes Steiermark
Es fanden Gespräche mit folgenden Akteur:innen statt, die zum Teil auch an den Konferenzen beteiligt waren: mit der Intendantin und Mitarbeiter:innen des steirischen herbst, der Direktorin des Kunsthauses Graz, dem künftigen Intendanten der Oper Graz ab September 2023, dem Direktor des Universalmuseums Joanneum, dem Geschäftsführer der Bühnen Graz, dem Intendanten des Kinder- und Jugendtheaters Next Liberty, der künftigen Intendantin des Schauspielhauses Graz sowie dem Leiter der Volkskultur GmbH.
„Jede Veränderung ist eine Verhandlung".
Der kulturpolitische Auftrag, den das Land Steiermark an die Leitungen der genannten Institutionen vermittelt, ist klar: Es gilt, qualitative und quantitative Ziele zu erreichen, die regelmäßig evaluiert werden. Qualitative Ziele sind nicht immer leicht in klare Worte zu fassen, dennoch inhaltlich bedeutender als quantitative Ziele, die ihrerseits in Zahlen ausgedrückt und gemessen werden können, aber nicht eindeutig interpretierbar sind. Manche Veranstaltungen sind für die inhaltliche Entwicklung einer Institution bedeutend und bringen trotzdem nicht den erwünschten Besucher:innenerfolg in Zahlen.
All das könnte zumindest theoretisch dazu führen, dass ein Haus international für seine Arbeit ausgezeichnet wird, die Leitung aber zugleich wegen nicht erreichter quantitativer Vorgaben, etwa was die Zahl an Produktionen angeht, gekündigt wird. Hier wäre es sinnvoll, die Leistungskennzahlen, die die Beteiligungsgesellschaften - in Bezug auf die Anzahl an Produktionen, Publikumszahlen, etc. - vorlegen müssen, zu überprüfen. Diese Debatte wurde auch bei unterschiedlichen Regionalkonferenzen geführt. In der Fokusgruppe Förderungskultur müssen aktuelle Leistungskennzahlen überprüft und bestenfalls modifiziert werden. Qualitätssicherung ist wichtiger als quantitative Kennzahlen.
Es gibt in der gesamten steirischen Kunst- und Kulturlandschaft implizit und oft auch explizit die Forderung nach Kooperationen. Wie bereits deutlich wurde, ist
„Teilen statt Konkurrenz" daher auch als Leitsatz im Strategieprozess festgehalten worden.
Eines ist den Beteiligten in Bezug auf das Thema Kooperationen in den hier zusammengefassten Gesprächsrunden bewusst - einerlei, ob sie ihr Amt neu antreten oder vor Ort schon viele Jahre an Erfahrungen gesammelt haben:
„Zusammenarbeit muss man sich leisten können."
Erfolgreiche Kooperationen bringen nicht nur Renommée, sondern auch neues Publikum. Zugleich bedeuten sie ein stetes Ringen um die eigenen Positionen, den künstlerischen Freiheitsgrad. Es entstehen neue Hürden, etwa wenn eine Erstaufführung mit ihren Besucher:innenzahlen unter die Vorgaben zurückfällt. Die Kooperationen von Festivals und großen Häusern sowie der Volkskultur GmbH mit der Szene können und sollen vor allem keine „Ersatzförderung" sein. Und dann gibt es noch eine oft gestellte Frage: Wie wird der Wille zur Zusammenarbeit in größerem Maßstab „belohnt"? Aus den Gesprächen geht hervor, dass die Ressourcen der großen Institutionen begrenzt sind und wenig Spielraum für neue Wege bieten. Kooperationen müssen also auch finanziell unterstützt werden. Empfohlen wird in diesem Zusammenhang, dass über die Vertragsgestaltung diskutiert werden soll. Wichtige Fragen: Wie könnten Verträge in Hinkunft gestaltet sein? Welche Vorgaben, etwa in Bezug auf Publikumszahlen und Kooperationen, sind sinnvoll? Und welche führen nur dazu, dass man vermeintliche oder tatsächliche „Bestseller" ins Programm nehmen muss? Wird man für Experimente letztlich belohnt oder bestraft?
„Man müsste eigentlich sagen: Denkt groß!"
Wenn es um die Schnittmengen zwischen Publikum und Öffentlichkeit geht, verfolgen alle Befragten ein Ziel: Es geht darum, die Bekanntheit der Häuser und Institutionen auszubauen. Auch Menschen, die wenig Berührungspunkte mit Kunst und Kultur haben und beides als gesellschaftlich unbedeutend einordnen, sollen erfahren und verstehen, dass die Vielfalt künstlerischen Ausdrucks und das breite Feld unterschiedlicher Kulturbereiche für eine freie demokratische offene Gesellschaft wie die unsere unerlässlich sind. Auch Menschen, die Kunst- und Kulturinstitutionen nur selten oder gar nicht besuchen, sollen nicht an der Sinnhaftigkeit ihrer Existenz zweifeln. In diesem Zusammenhang ist der Erhalt der ORF-Gebühren und die Abgabe, die das Land Steiermark einhebt, besonders wichtig, stellen sie doch die politische Unabhängigkeit öffentlicher Mittel für Kunst und Kultur sicher. Die Debatte um Leistbarkeit und Vermittlung von Kunst und Kultur im Sinne von kultureller Teilhabe für alle muss im Rahmen der unterschiedlichen Handlungsempfehlungen und Fokusgruppen intensiviert werden.
„Ich wünsche mir ein breites, gebildetes, kritisches Publikum."
Die Kulturstrategie sollte daher auch Bildungsfragen nicht ausklammern, vielleicht sogar eine Bildungsstrategie einfordern, sagte jemand aus der Runde. Keine einfache Sache im föderalen Land Österreich, wo Bildungsagenden auf die Gemeinde-, Landes- und Bundesebene verteilt sind. Eine andere Ansichtssache, die zum Weiterdenken einlädt, ist die Frage der Abwanderung von Künstler:innen, wie sie die Steiermark seit Jahrzehnten erlebt. Man kann diese als „Brain Drain", als Verlust von Talenten, sehen. Oder als Bereicherung, als ein Zeichen von Renommée, als eine Möglichkeit für den Auf- und Ausbau nationaler und internationaler Kontakte, wenn es gleichzeitig ein Klima der Verbundenheit für international arbeitende Künstler:innen gibt, die zurückkommen, wenn sie projektbezogen und temporär gute, weltoffene Bedingungen in der Steiermark vorfinden und so internationale Kontakte mitbringen. Sowohl die Bildungs- als auch die Jugendfrage wurde in den Konferenzen ähnlich forciert.
„Es braucht wissenschaftliche Arbeit in Zusammenhang mit volkskulturellen Traditionen."
In puncto Bildung ist eine Überarbeitung der kulturpolitischen Aufträge in Hinblick auf die Vertiefung wissenschaftlicher Perspektiven zu diskutieren. Insbesondere im Bereich der „Volkskultur" besteht dabei ein Wunsch nach der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Traditionen: Hier bieten sich Kooperationen zwischen dem Universalmuseum Joanneum mit seinem Volkskundemuseum, der Volkskultur GmbH und volkskulturellen Verbänden sowie den Grazer Universitäten an. Eine Anpassung der Aufträge dahingehend könnte einen Beitrag dazu leisten, dass Berührungsängste zwischen „allgemeiner Kultur" und „Volkskultur" abgebaut werden. Zugleich kann damit einer politischen Vereinnahmung der „Volkskultur" entgegengewirkt werden.
Das Stimmungsbild, das sich aus den Gesprächen ergibt, ist ein gemischtes. „Wir sind eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, Menschen zu motivieren", so ein:e Gesprächspartner:in. Es werden etwa die Gehälter angesprochen, die in Graz üblich, respektive möglich sind, die Verdienstmöglichkeiten in vergleichbaren Institutionen in anderen österreichischen oder auch internationalen Städten gegenübergestellt und meist als attraktiver beschrieben werden. Aus all dem ergeben sich Eckpunkte, die in die folgenden Handlungsempfehlungen einfließen.